Korrespondenzen (im Aufbau)
Briefe von Otto Dix an Hans Bretschneider 1911/12
undatierter Brief, vielleicht Ostern 1912 (Teil 2)

... nicht, daß ein göttlicher Humor auch darüber siegt? – Doch nun mal Schluß mit den Gehässigkeiten. Mein Vegetarismus ist keine aufgezwungene Sache, wo ich mich wie mancher erst „überwinden“ müßte und heiß kämpfen, nein, mein Körper fügt sich willig dem Geist, ohne zu revoltieren. Das ist das erste Anzeichen des gesunden Vegetarismus. Nimm mirs nichts übel Hans! Aber Du bist noch furchtbar pedantisch. Du möchtest in die Großstadt, aber das Geld für 1 (einen) Monat Unterhalt fehlt Dir. – Wozu gibt’s denn Kredit? Den willst Du also Deinen alten Herrschaften zur Last fallen und die Gerschen sollen dann sagen „seht er ist auch wieder da bei Muttern“. – – Es wird so sacht dämmrig in meiner Bude und die Nacht kriecht aus den Ecken hervor. Ich muß nachher fortsetzen –. So jetzt habe ich Abendbrot gegessen, die Lunge angebrannt, jetzt geht’s weiter – –. Ich wünscht blos, Du kämst mal in eine solche Sphäre, in der ich jetzt bin, damit Du mal andere Gedanken kriegst. Da herrscht eine Freude, Fröhlichkeit, Leichtsinn. Geldsorgen, Nahrungssorgen sind den Bohemens [sic] Kleinigkeiten, sie sind eben darüber hinaus, das immer das anständige Leben (wie der Philister sagt), d. h. immer genug zu essen, zu trincken [sic] haben, allein glücklich macht. Du wirst behaupten, „solche Menschen muß die Nation miternähren, sie sind der Krebsschaden der Nation“. Ich behaupte das Gegenteil. Sie sind die Träger der Kultur. Sie behaupten in all dem Hasten und Jagen des modernen Lebens die alte Freude, Kraft und Unbeugsamkeit. Das ist mehr wert als die fetten Pfründe eines guten Gewissens und vollen Magens. Sie sind Menschen mit eigner Anschauung, bei ihnen kann man nicht sagen wie Rideamus [sic] „Wer nichts ist und auch nichts hat, wird gewöhnlich Sozialdemokrat“ – – Du gehst also immer noch mit dem „Goscherl“? Mensch hast Du ne Ausdauer. Das [sic] Du Dich schon so ...