Erinnerungen
Dix entwarf den selbstironischen Lebenslauf in seiner markanten Schrift um 1924 für einen unbekannten Adressaten. Heute befinden sich die Blätter in Privatbesitz.
[Auszug veröffentlicht in: Ulrike Lorenz (Hrsg.), Dix avant Dix, Jena 2000, S. 16 ff.]
Handschriftlicher Lebenslauf, um 1924

Ich bin geboren am 2. XII. 1891 nachts 1 ½ Uhr (damit Sie es ganz genau wissen) in Untermhaus bei Gera. Das liegt aber nicht, wie manche Leute behaupten, in Sachsen, sondern in Thüringen. Mein Vater ist Eisengießer & Former. Daß meine Mutter sehr genial & fantasievoll ist, beweist die Tatsache, daß sie neulich einen Kuchen anstatt aus Mehl aus Bleiweiß gebacken hat, wovon dann meine Eltern einige Tage Kolik hatten. Daß ich die Volksschule in Untermhaus besuchte, die Masern hatte, Indianer spielte, kleine Waldbrände inscenierte, interessiert wohl weiter nicht. Vom 14–18ten Lebensjahre lernte ich Dekorationsmaler, d. h. ich lernte Hühnerställe ausmisten, Decken & Wände abkratzen, Farbe reiben, Fußböden, Zäune & Sockel streichen & Stiefel vorschriftsmäßig putzen. Sonntags ging ich Landschaften malen. Da ich aber die ganze Woche auf den Sonntag wartete, zog mir der Krauter die Löffel oft lang, wovon sie heute noch sehr vom Kopf abstehen und mir zur Unzierde gereichen. „Du wärscht mol nischt, e aller Schmierfink wärschte, aber ken richtcher Moler, koof der norn Dackel un e Somtjoket un war Kinstler“, sagte er mir immer. Vom Fürsten von Reuß erhielt ich [ein] Stipendium & ging nach Dresden zur Kunstgewerbeschule. Dort lernte ich Blumen malen, Pflanzen zeichnen, Anatomie & Akt zeichnen. Kohldampf wurde feste geschoben, da die Fürstl Reuß. 50 M nicht weit reichten. Aug. 1914 wurde ich zum Militär eingezogen […]